ΟΧΙ

Herr Schäuble, ich hatte einen Traum, von dem ich Ihnen erzählen will.

Ich war auf einer kleinen griechischen Insel: Wunderschön, mit Bergen, Tälern, Dörfern und zwei kleinen Häfen. In einer verlassenen Bergsiedlung traf ich Michalis, einen alten Bauern, der mit einer Sense auf einem Feld Margeriten köpfte.

 

Was machst du da?, rief ich.

Ich schneide Heu für meinen Esel!

Lebst du hier?, fragte ich.

Leben, arbeiten, alles dasselbe.

Me lene Karen. Ich heiße Karen, sagte ich.

Ich heiße Michalis. Wo kommst du her, Karen?

Aus Deutschland, nuschelte ich und wurde rot.

Ah! Aus Deutschland! Michaelis ließ die Sense sinken. Wenn du zurück gehst, nach Deutschland, erzähl dem Schäuble von mir.

Das mache ich.

 

Dann holte er mit dem Fuß aus und schoss einen imaginären Ball, oder machte einen Arschtritt nach, ich kann es nicht genau sagen. Er lachte und zeigte mir seine fünf Zähne.

 

Wir schnitten gemeinsam Heu und legten es zum Trocknen aus. Auf einem weiteren winzigen Acker hackten wir mit einer Spitzhacke Löcher in den steinigen Boden und setzten Wein. Aus einem Loch im Boden, einem Regenwasser-Reservoir, holten wir mit einem Eimer Wasser und gossen es in die Erdlöcher zu den Setzlingen. Michalis schliff seine Klingen und schnitt mir eine Artischoke. Er legte ihr Herz frei und reichte es mir.

 

Gut für die Leber.

Danke. Pelzig.

Ja. Aber gut für die Leber.

Mhm.

 

Wir aßen still im Schatten einer Mauer und mit Blick auf das Meer. Dann lud er mich in sein Haus ein. Es war vielleicht 15 Quadratmeter groß, aus Steinen und Holz gebaut, mit seinen eignen und seines Vaters Händen. Die Mauern bestimmt einen halben Meter dick, gegen die Hitze im Sommer und die Kälte im Winter. Ein Fenster. Ein Kamin. Ein paar Stühle und Liegeflächen. Eine Truhe. Eine Kerze. Eine Öllampe. An den Wänden Bilder seiner Familie. Zu Neunt haben sie hier gewohnt und abends im Schein der Kerze die Zeitung von vor zehn Tagen gelesen. Kein fließend Wasser. Kein Strom. Kein Gas.

 

Raki?

Ja, gerne.

 

Aus einer Plastikflasche goss er mir in eines seiner zwei Gläser eine trübe Flüssigkeit, und wir tranken auf die Gesundheit, auf seine und auf meine. Und auf das Leben. Und auf die Liebe. Und auf die Lieben.

 

Sag ihm, wir brauchen keine U-Boote und Autos. Sag ihm, wir wollen unsere Würde zurück. Sag ihm, dass ich seit 2011 versuche eine Pension zu erhalten. Ich bin 75 Jahre alt und stehe jeden Tag auf dem Feld. Mein Körper ist noch immer stark, aber das allein reicht nicht. Sag ihm, die Deutschen haben uns zwei Mal gefickt. Im zweiten Weltkrieg und jetzt. Es ist genug, wir sind der Deutschen müde...

 

Er reichte mir Lokuma aus einer alten Blechdose. Und während sich draußen der Tag neigte und der Mond aufging, saßen wir im Flackerlicht der Kerze und teilten, was wir hatten. Die großen und die kleinen Erinnerungen, das Brot, den Käse, den Raki, und das Wasser. Ich war sehr glücklich.

 

Herr Schäuble, ich wünschte, Sie hätten das geträumt.

 

 


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